Der Plugin-Wahn
Warum mehr Plugins deine Musik schlechter machen
Von Carlos San Segundo
Der Plugin-Wahn und deine Musikproduktion
Die Werbung suggeriert gerne die Notwendigkeit, das Plugin XYZ besitzen zu müssen. Erst mit diesem Plugin klänge deine Musik so richtig analog und professionell. Ohne Plugin ABC würdest Du nie einen Hit landen und nur die Funktionen in 123 dienten einem optimalen Workflow. Mit solchen Aussagen sollen und werden Musiker und Produzenten dazu angeregt, sich ständig neues Equipment zuzulegen und werden dabei davon abgehalten, bessere Musik zu machen.
Gerade was virtuelle Instrumente oder Soundprozessoren in Form von Plugins angeht, ist der Trend eindeutig in Richtung „in-the-box“ gegangen. „In-the-box“ heisst hier so viel wie „im Computer“. Die hohe Qualität der Musiksoftware, die preiswerte Anschaffung, der verbesserte Workflow mit Total Recall, die Austauschbarkeit zwischen unterschiedlichen Audio Workstations und die Mobilität moderner Laptops werden diese Arbeitsweise auch in Zukunft immer attraktiver machen. Was mit den heute verfügbaren Werkzeugen in wenigen Minuten möglich ist, hat vor einigen Jahren zuweilen noch Stunden in Anspruch genommen.
Bei all diesen Vorteilen: Wie kann dann der Titel wahr sein? Wie könnten noch mehr Plugins deine Musik schlechter machen? Das klingt doch wie ein Oxymoron, ein Widerspruch?
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Für mich ist es keiner. Ein Privileg als Redakteur für delamar ist, dass ich eine Menge Software und Plugins geschickt bekomme, um diese zu testen und darüber zu schreiben. Meine Sammlung an virtuellen Instrumenten und Effektplugins wird dadurch immer grösser und in der Zwischenzeit stelle ich immer wieder fest, dass mich die Vielfalt an einigen Stellen behindert, kreativ zu werden.
Es gibt zwei Herangehensweisen für diese Fragestellung. Entweder Du gehörst zu den Musikern, die gar nicht genug Werkzeuge haben können und die für jede Gelegenheit ein eigenes Plugin wollen. Oder Du gehörst zu denen, die für jede Gattung nur ein Werkzeug nutzen – mit allen Restriktionen und Nachteilen, die das mit sich bringen kann. Ich selbst tendiere inzwischen immer mehr zu letzterer Gruppe.
Hier ist warum:
- Die Qual der Wahl
Wenn ich 20 unterschiedliche Kompressoren installiert habe, probiere ich mindestens 6-7 auf einer Spur aus und verliere mich dabei in Feinheiten und Details, die den Song im Grunde genommen nicht voranbringen. - Lernkurve
Je mehr Plugins ich nutze, desto weniger kenne ich jedes einzelne. Das gilt insbesondere für Instrumente, die in der Regel etwas komplexer als Effektprozessoren sind. Nutze ich nur eine begrenzte Anzahl an Plugins, so kenne ich ihre Stärken sowie Schwächen besser und kann mehr aus ihnen herausholen. - Der eigene Sound
Durch eine Limitierung (der Klangerzeuger insbesondere) kreiere ich wesentlich einfacher meinen eigenen Sound, der sich wie ein roter Faden durch die gesamte Produktion zieht. - Weniger Authentizität
Durch die Verwendung vieler unterschiedlicher Plugins und Effektprozessoren geht die Authentizität ein Stück weit sogar verloren.
Der Plugin-Wahn hat seine Wurzeln vielleicht auch im so genannten Gear Acquisition Syndrome oder auch kurz: G.A.S. Mit diesem Begriff bezeichnen wir Musiker den ständigen Trieb, neues Musik Equipment kaufen zu wollen. Wahrscheinlich geht es hierbei auch gar nicht um den Kauf an sich, sondern viel mehr darum, die neuen Geräte zu besitzen.
Der Kern und Antrieb dieser Lust ist oftmals der fälschliche Glaube, dass ein neues Mikrofon, der neue Kompressor oder das virtuelle Instrument XYZ zu besseren oder professionelleren Ergebnissen führte. Und obwohl das in einigen Fällen sicherlich auch wahr sein kann, gilt viel häufiger allen Beteuerungen der herstellenden Musikindustrie zum Trotz das Gegenteil. Die Frage ist nicht, alle teuren Mikrofone dieser Welt zu besitzen, sondern stattdessen überaus gut in eines hineinzusingen (oder zu rappen oder zu sprechen oder…). Entsprechendes gilt dann selbstredend auch für die anderen Gattungen von Musik Equipment.
Wie entgehst Du der Sache?
Im Grunde genommen kannst Du dir jedes Mal folgende Frage stellen und diese für dich beantworten: Was bringt mir das Plugin an neuer Funktionalität? Nichts? Dann brauchst Du dieses Plugin nicht mehr. Hat es zusätzliche Funktionen, die dein altes Plugin nicht bietet und die Du gerne für deine Musikproduktion hättest? Dann ersetze dein altes Plugin. Redundanz führt nur zur Punkt 1 in obiger Liste und damit zu einem kreativen Stau.
Nehmen wir mal das Beispiel Equalizer. Es ergibt durchaus Sinn, einen Equalizer für chirurgische Eingriffe bereitzuhalten und einen, um die eigentliche Bearbeitung mit etwas Klangfärbung durchzuführen. Welchen Grund könnte es aber haben, einen zweiten EQ für chirurgische Eingriffe vorzuhalten? Vielleicht besitzt Du aber noch einen dritten Equalizer, der eine weitere Klangfärbung bietet und damit als Ergänzung durchaus sinnvoll ist.
Ein letzter Satz sei mir zur Entscheidungsfindung noch erlaubt. Die grafische Oberfläche der Plugins sollte in deinen Entscheidungen keine Rolle spielen. Viel zu oft täuschen die Hersteller über den eigentlich miesen Klang oder die fehlende Innovation der eigenen Plugins hinweg, indem sie einfach die GUI exzellent verschönern. Ander herum gesagt schaffen es einige Hersteller, mit ihrer miesen Grafik den tollen Klang ihrer Produkte zu verschweigen.
Dasselbe gilt übrigens auch für Klangbeispiele auf den Webseiten der Hersteller – und auch in beide Richtungen.
Deine Meinung ist gefragt!
Wie siehst Du die Qualität deiner eigenen Musik in Bezug auf die Zahl der verwendeten Werkzeuge? Wie gehst Du mit der Flut an Optionen digitaler Musikproduktion um? Hast Du lieber die ganz grosse Auswahl oder bevorzugst Du eine kleine Selektion feiner Plugins? Kannst Du deine Kreativität eher aus der Limitation der Möglichkeiten ziehen?
Schreib uns deine Meinung in die Kommentare!