Audiomythen entlarvt
Fakten statt Fiktion

  • Analog vs. Digital: Tape-Ästhetik ist auch bei digitalen Aufnahmen möglich
  • Hi-Res: Klangunterschiede zur CD-Qualität sind für Laien nicht hörbar
  • Kopfhörer "Burn-in": Weit unter der menschlichen Hörschwelle
  • 360°-Sound in Virtual Reality (Gaming): Kommt auch mit niedriger Bitrate zurecht

Titelbild Audiomythen Artikel

Valentina Lablack Von Valentina Lablack am 15. August 2025

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Audiomythen im Fakten-Check

Wer kennt ihn nicht, den Audio-Mythos von der „analogen Wärme“, die nur den Tapes vorbehalten sein soll? Im Studio schwärmen alle von den sattklingenden Tapes und knisternden Vinylplatten (und einige Audiophile auch…).

Das digitale Recording – hat angeblich gar keine Chance. Bevor Du dem Produzentenmythos aber blind folgst, solltest Du dich fragen: Hörst Du wirklich einen Unterschied – oder ist das nur Einbildung?

Keine Sorge, in diesem Artikel gehen wir diesem und drei weiteren Audiomythen gemeinsam auf den Grund.


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Audiomythen Textbild Tape-Sound vs. Digitale Aufnahme
Trotz nicht mehr wahrnehmbarer Unterschiede wird der Vintage-Tape-Sound dem digitalen Klang oft vorgezogen.

Analoger Vintage-Charakter vs. digitale Klarheit

Mythos: Der Vintage-Sound ist den Bandmaschinen vorbehalten.

Realität: Mit digitaler Technik kann der organischen Tape-Sound realistisch nachgeahmt werden.

Oft heißt es, der heutige Digitalklang könne dem Zauber analoger Aufnahmen nicht das Wasser reichen.

Aber stimmt das auch wirklich?

Bands wie die Foo Fighters, White Stripes und Black Keys stehen klar für die Tape-Ästhetik – sie nutzen Bandmaschinen bewusst, um diesen Sound zu kreieren.

Die romantische Vorstellung vom altbewährten Tonband ist zwar charmant und mit der Nostalgie dieser Bands verbunden – aber auch Digitalsysteme können den warmen Tape-Sound ohne einen Klangunterschied nachahmen. Sic!

Einen Beweis dafür liefert die Band Radiohead, die gezielt eine klangliche Tape-Ästhetik durch Lo-Fi Elemente mit digitaler Bandsättigung einsetzte – beispielsweise beim Song „Pulk/Pull Revolving Doors“ (2001).

Digitalsysteme mit 24- oder 32-Bit und über 120 dB Dynamikumfang erfassen jedes Detail – rauschfrei und extrem präzise. Gerade diese Perfektion lässt Aufnahmen oft glatt wirken – und dann fehlt der typische Tape-Charme laut Mythos.

Trotzdem ist möglich, den Klang so zu bearbeiten, dass er wie ein altes Tonband klingt. Und das so täuschend echt, dass selbst in Blindtests kein Unterschied für das Publikum mehr hörbar ist.

Nachfolgend sind übliche Bearbeitungsmöglichkeiten für digitale Aufnahmen mit der „warmen“ Tape-Ästhetik:

  • Sanfte Kompression und Wärme: Digitale Plugins ahmen die sanfte Verzerrung alter Tonbänder nach, indem sie das Signal bei hohen Lautstärken leicht „zusammenpressen“ und harmonische Obertöne hinzufügen – das sorgt für den charakteristischen Tape-Klang.
  • Leichtes Schwanken: Kleine Schwankungen in der Geschwindigkeit einer echten Bandmaschine werden per Software nachgebildet, sodass es lebendiger wirkt, statt starr und perfekt getaktet.
  • Feines Bandrauschen: Ein dezent eingestelltes Rauschen macht den Sound authentischer. Wie beim analogen Band entsteht damit eine leichte „Schicht“ im Hintergrund, die den Klang wärmer und plastischer erscheinen lässt.

Alben wie Billie Eilishs „When We All Fall Asleep“ oder Travis Scotts „SICKO MODE“ wurden komplett digital gemacht und sie klingen trotzdem „organisch“.

Was heute als analoger Vintage-Charme von den guten alten Tapes wahrgenommen wird, ist zwar messbar. Und deswegen lässt es sich schon längst in digitaler Form ohne Kompromisse nachbilden – ohne einen hörbaren Unterschied.

Audiomythen Textbild Hi-Res vs. CD Sound
CD vs. Hi-Res: Ein messbarer Unterschied bedeutet kein hörbarer Unterschied.

Klingt Hi-Res wirklich besser als CD?

Mythos: Hi-Res Audiodateien klingen immer besser als Musik in klassischer CD-Qualität mit 44,1 kHz.

Realität: Der alltägliche Musikhörer nimmt zwischen Hi-Res und dem CD-Sound kaum bis gar keinen Klangunterschied wahr, weil das Gehör bei den gängigen Lautstärken und Endgeräten nicht in der Lage ist, die extrem feinen Signalunterschiede zuverlässig zu erkennen.

Stell dir vor, Du sitzt abends mit zwei Freunden auf der Couch. Alle haben Kopfhörer auf, der Pegel ist gleich eingestellt.

Zwei Versionen desselben Songs laufen nacheinander. Danach beginnt die Diskussion:

„Welcher Klang war besser?“

Zwei Tracks, zwei Meinungen – und Du mittendrin.

Du glaubst auch, einen Unterschied gehört zu haben.

Aber kann es wirklich sein, dass Musik-Dateien mit 96 kHz besser klingen als die in klassischer CD-Qualität mit 44,1 kHz?

Um das zu verstehen, hilft dir hier vielleicht ein Vergleich:

Stell dir vor, eine Audiodatei ist wie ein Daumenkino.

Die Abtastrate sagt dir, wie viele „Bilder“ – also Messpunkte – pro Sekunde gemacht werden.

Bei 44,1 kHz sind das 44.100 Punkte, bei 96 kHz sind es 96.000.

Die logische Schlussfolgerung: Je mehr Punkte das Signal nachzeichnen kann, desto detailreicher und auch „besser“ sollte die Qualität sein.

Aber genau wie beim Daumenkino reicht eine bestimmte Bildzahl, damit alles flüssig wirkt – mehr bringt kaum einen qualitativen Unterschied.

Trainierte Hörer erkennen unter Studiobedingungen sicher die Nuancen im Klang. Auch bei der Produktion ist eine hohe Auflösung wichtig, da sonst Details in der Musik fehlen.

Aber im Alltag spielen Faktoren wie Lautstärke, Stimmung oder Erwartung oft eine größere Rolle bei der Hörwahrnehmung.

Was wir als „besser“ empfinden, ist nicht immer ein technischer, sondern oft ein subjektiver Unterschied.

Audiomythen Textbild Kopfhörer Burn-in
Das „hörbare“ Burn-in eines Kopfhörers – existiert nicht.

Kopfhörer „Burn-in“: Placeboeffekt

Mythos: Der Kopfhörer „Burn-in“ Effekt sorgt nach mehreren Stunden des Betriebs einen besseren Sound.

Realität: Klangsprung ist zwar messbar, aber für das menschliche Gehör nicht zu identifizieren (und passiert auch, wenn ich dabei hinhöre).

Das sogenannte „Burn-in“ bei Kopfhörern beschreibt den Vorgang, bei dem die beweglichen Teile im Treiber (Membran, Aufhängung) leichte Materialverspannungen abbauen.

Durch den Betrieb über mehrere Stunden hinweg wird der Kopfhörer mechanisch „eingelaufen“.

Somit soll erst nach etlichen Stunden des Tragens der perfekte Sound abgegeben werden:

  • Materialentspannung: Durch das Schwingen werden die Membran und ihre Gummiränder weicher
  • Federungsanpassung: Die Aufhängung lockert sich minimal und ist etwas freier

Die „mechanische Impedanz“ (N·s/m) ist dabei der Widerstand, den diese Teile der Bewegung während des „Einlaufens“ entgegensetzen.

Misst man diesen Widerstand der mechanischen Impedanz vor und nach 10–20 Stunden, schwankt er um 0,2 bis 0,5 dB (Dezibel).

Ein Dezibel ist für die meisten Menschen der kleinste hörbare Unterschied für das menschliche Gehör – und den hören nur geübte Ohren.

Die gemessenen Schwankungen liegen also weit unter der Hörschwelle – unser Gehör nimmt es nicht wahr.

Der große Klangsprung, den viele dem „Burn-in“ zuschreiben, existiert also nicht.

Das heißt im Klartext: Der wahrgenommene Unterschied ist in der Regel ein Placeboeffekt – das Material der Treiber dehnt sich minimal und ist zwar messbar, bleibt aber klanglich stabil.

Audiomythen Textbild Audio-Codecs
Audio-Codecs minimieren Audio-Dateien ohne einen Klangunterschied.

Gaming-Sound erfordert maximale Bitraten

Mythos: Höchstmögliche Bitrate verbessert das Gaming-Sounderlebnis.

Realität: Für präzise Ortung im Gaming genügen schon 64–128 kb/s.

Im Gaming geht es nicht um superfeine Klangdetails, sondern darum, genau zu hören, woher ein Geräusch kommt.

Schon 64–128 kb/s reichen völlig aus, um alle wichtigen Richtungs­hinweise zu übertragen. Höhere Bitraten bringen (in dieser Hinsicht) kaum einen spürbaren Vorteil.

Was ist Bitrate?

Die Bitrate gibt an, wie viele Daten pro Sekunde übertragen werden (in Kilobit pro Sekunde, kb/s).

Je höher die Bitrate, desto mehr Informationen und damit auch Details können abgebildet werden.

Ein Audio-Codec ist wie eine Meeting-Zusammenfassung für den Kollegen: Du schickst nur die Entscheidungen und To-Dos für deinen fehlenden Kollegen rüber – alles Unwichtige wird gestrichen.

So gibst Du die wesentlichen Daten weiter, hast aber viel weniger Aufwand und dein Kollege weiß trotzdem alles Nötige.

So arbeiten Audio-Codecs im Detail:

Analyse: Sie „hören“ sich den Originalklang an (Musik oder Sprache).

Psychoakustik: Sie entfernen Frequenzen, die unser Ohr nicht oder kaum wahrnimmt.

Redundanz­reduktion: Wiederholte oder sehr ähnliche Klangstücke werden nur einmal gespeichert.

Am Ende bleibt eine deutlich kleinere Datei übrig. Aber mit zunehmender Kompression weicht der Klang immer stärker für unser Ohr vom Original ab.

Sonderfall Gaming: Warum reichen 64–128 kb/s?

Bei Spielen sind Laufzeit- und Lautstärke­unterschiede wichtiger als feine Obertöne. Spielesounds und Soundeffekte haben weniger komplexe Hall- und Oberton­anteile als Musik.

Geräusche wie Schritte oder Explosionen brauchen diese Detailtreue nicht.

Musik-MP3s verlieren durch eine Komprimierung bei 128 kb/s merklich an Qualität und sind deutlich vom Original zu unterscheiden.

Gaming- und VR-Codecs hingegen optimieren Audiodateien gezielt die wichtigsten Signale. Auch bei 64-128 kb/s.

Audiomythen Artikel
Teste dich mit dieser Checkliste selbst, um nicht auf die nächsten Audiomythen reinzufallen.

Teste es selbst!

Mit diesen einfachen Hörtests kannst Du prüfen und selbst herausfinden, ob dein Gehör wirklich zwischen den Varianten unterscheidet – oder ob vieles nur Einbildung ist.

  • (Doppel-)Blindtest aufsetzen: Eine zweite Person spielt dir zwei Versionen vor (A und B), ohne dir zu verraten, welche digital bearbeitet ist. So hörst Du unvoreingenommen.
  • Sorge für Ruhe: Fenster schließen, Handy aus, immer derselbe Platz und dasselbe Abspielgerät – so minimierst Du Ablenkungen.
  • Pegel kontrollieren: Gleiche die Lautstärke beider Versionen an, sodass sie gleich laut wirken. Unterschiedliche Pegel verzerren den Eindruck zugunsten des lauteren Stücks.
  • Referenzsignal wählen: Nimm ein bekanntes Signal wie rosa Rauschen, einen Sinuston oder deinen Lieblings-Track, damit Du immer einen festen Anhaltspunkt hast.
  • A/B-Schalter verwenden: Nutze einen Umschalter, um blitzschnell zwischen Version A und B zu wechseln und feine Unterschiede aufzuspüren.
  • Frequenzgang prüfen: Hör gezielt auf Bass, Mitten und Höhen – klingt eine Variante in einem Bereich straffer oder offener?
  • Impulsverhalten vergleichen: Spiel kurze, knackige Signale (z. B. Schlagzeug) und achte darauf, ob eine Version „schneller“ oder „weicher“ reagiert.
  • Stereo vs. Mono: Verliert eine der Varianten Details oder wirkt das Klangbild enger?
  • Wahrnehmung dokumentieren: Notiere, welche Version dir wärmer, luftiger oder detailreicher vorkommt.
  • Ergebnisse auswerten: Vergleiche deine Notizen – ab es klare Unterschiede oder eher persönliche Vorlieben?

Zwischen Audiomythos & Messwert

In der Welt der Audioproduktion gibt es viele Meinungen – manche klingen nur gut, manche sind gut und manche sind einfach nur Mythen, die sich hartnäckig halten.

Zwischen dem Messwert und den für Menschen wahrnehmbaren Unterschieden liegen oft der Placeboeffekt und Wunschdenken.

Ob analoge Wärme, Hi-Res oder Burn-in: Am Ende zählt nicht, was alle anderen sagen. Selbst hinhören, kritisch hinterfragen und ein bisschen gesunder Zweifel.

Also, wenn im Studio mal wieder von den „echten Sounds“ die Rede ist oder angeblich ein Burn-in „deutlich“ zu hören war, kannst Du jetzt den Mythos aufklären und für mehr Klarheit sorgen.

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