Digitale Musikindustrie
Empfehlung oder schon Manipulation?

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Die digitale Musikindustrie verändert die Songs und damit unseren Musikgeschmack.

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Die sozialen Medien

Musik ist vor allem in digitaler Form sehr gefragt. Das Streaming von Songs ist die aktuell beliebteste Methode, um Musik zu konsumieren. Sie wird mit jedem Jahr und jeder neu heranwachsenden Generation beliebter.

Der Einfluss von Streaming-Medien

Schon in der Vergangenheit hat das Medium Einfluss auf die Message genommen und die Gesellschaft nachhaltig geprägt – so wie das Radio oder das Fernsehen. Das Medium kann die Gesellschaft und deren Musikgeschmack also genauso prägen wie der vermittelte Inhalt und ist damit nicht neutral.

Ein solches Streaming-Medium ist Spotify. Die App hat einen sehr großen Einfluss darauf, wie Musik komponiert wird. Der Grund dafür ist der Algorithmus. Ein Beispiel dafür ist das schnelle Skippen von Songs.

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Beispiel: Song skippen

Wenn Du einen Song noch vor der 30-Sekunden-Marke skippst, zählt der Algorithmus das nicht als Play. Folglich erhalten der Künstler und sein Label keine Bezahlung. Außerdem merkt sich der Algorithmus in einer Datenbank, dass Du den Song weggeklickt hast.

Wenn ein anderer Nutzer auf Spotify mit einem ähnlichen Musikgeschmack unterwegs ist, schlägt der Algorithmus ihm diesen Song nun nicht mehr vor. Der Algorithmus merkt sich also deine Reaktionen und empfiehlt keine Songs, die geskippt werden. Das heißt, das Hören von mindestens 31 Sekunden eines Songs ist wichtiger als dein persönlicher Musikgeschmack.

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Songskipping unter 30 Sekunden wird bei Spotify nicht als Play gewertet und gibt daher kein Geld.

Die Strategie von Spotify & Co.

Kein Geld mit Musik zu verdienen ist für den Künstler und das Label keine Option. Beide müssen deshalb dafür sorgen, mit ihrer Komposition deine Aufmerksamkeit zu bekommen. Damit Du länger als 30 Sekunden hörst und der Song dann vom Algorithmus als Play gezählt wird.

Neue Songstruktur

Die ersten 30 Sekunden des Songs sind auschlaggebend. Da musst Du unterhalten werden und der Song darf dich nicht mehr loslassen. Am besten funktioniert das in diesen ersten 30 Sekunden mit Hooks, Ohrwürmern und eingängigen Refrains. Die Strategie lautet, deine Aufmerksamkeit von Anfang an mit einer Hook zu packen, dann folgt der Chorus und erst dann die Strophe.

Aufbau eines Song

Traditionell war ein Song so aufgebaut: Intro, Verse, (Bridge), Hook.
Heute als Vergleich: Hook, Chorus, Verse, (Bridge), Hook.

Songanfang mit Hook für Ohrwürmer

Heute hat sich die Songstruktur an das Streaming angepasst. Die Songs beginnen mit ihrem Höhepunkt und verschieben das Vorspiel auf später. Das Ziel ist dabei, dass Du die Songs schnell im Ohr hast und sie nicht skippst. Songbeispiele dafür sind unter anderem:

  • „Don’t Start Now“ von Dua Lipa
  • „Therefore I am“ von Billie Eilish
  • „Havana“ von Camila Cabello
  • „Old Town Road“ von Lil Nas X

Die Strategie mit der Hook am Anfang funktioniert, wie die oben genannten Songs bewiesen haben. Aber muss dann jeder Song so klingen? Und wenn der Algorithmus die Songs in diesem Punkt schon verändert hat – an welcher Stelle noch?

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Plays, Plays, Plays

Es geht immer ums Geld, denn Musik ist ein Produkt. Es ist schwer, den Einfluss von Streaming auf die Musik exakt in Zahlen zu bestimmen. In den 1990er Jahren waren Popsongs für das Radio 3:30 Minuten und maximal vier Minuten lang. Allerdings waren kürzere Songs unter 2:30 Minuten in den frühen 2000er Jahren dennoch unüblich. Inzwischen hat sich das durch Streaming geändert.

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Früher liefen die Songs im Schnitt 3:30 Minuten und waren nur auf analogen Trägern erhältlich.

Bezahlung pro Play

Es gibt immer mehr Songs, die sehr kurz sind, und der Trend scheint weiterzugehen. Der Grund dafür ist, dass die Künstler pro Play bezahlt werden. Die Bezahlung erfolgt bei allen Songs nach 30 Sekunden. Dabei ist es egal, ob der Song 31 Sekunden lang ist oder es sich um einen Epos von zehn Minuten handelt.

Die Zählart des Algorithmus

Als Beispiel gehen wir von zehn Minuten Song hören auf Spotify aus. Hörst Du dir in diesen zehn Minuten einen Song mit fünf Minuten Länge zwei Mal an, zählt der Algorithmus zwei Plays. Wenn Du dir aber in denselben zehn Minuten einen zweiminütigen Song fünf Mal anhörst, zählt der Algorithmus schon fünf Plays.

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Ein Teufelskreis entsteht

Der Algorithmus wird davon ausgehen, dass Du diesen Künstler mehr magst als den ersten, dessen Song Du nur zwei Mal angehört hast. Diese Zählart macht es wahrscheinlicher, dass dir der Algorithmus noch mehr Songs von den gleichen oder ähnlichen Artists empfiehlt. Also Songs, die ebenso kurz sind und nach demselben Muster funktionieren.

Außerdem ist es weniger wahrscheinlich, dass Du diese kurzen und ähnlichen Songs skippst. Dadurch entsteht ein Teufelskreis. Das trifft besonders Metal Bands oder Bands wie Pink Floyd mit ihren Songs in epischer Länge.

Die Vorteile

Aber Spotify und Streaming sind dann nicht der Teufel. Denn der Algorithmus hat auch seine Vorteile. Er weiß ziemlich gut, welche Musik dir gefallen könnte und empfiehlt sie dir. Das verbessert das Nutzererlebnis auf der Plattform. Wer bereit für neue Musik ist, weiß diesen Service zu schätzen und verbringt noch mehr Zeit auf Spotify.

Für die Artists ist das ein Segen, denn sie werden von ihrem Publikum gefunden. Das ist viel einfacher und direkter, als es früher mit analoger Musik möglich gewesen wäre. Heute muss der Musikliebhaber nur schauen, was anderen Fans gefällt. Aber wo ist dann die Manipulation?

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Die Vorteile von Spotify sind eine individuelle Musikempfehlung für deinen Geschmack.

Die Filterblase der digitalen Musik

Im Jahr 2014 hat Spotify ein Unternehmen namens „the echonest“ gekauft. Dieses Unternehmen steckt hinter der Intelligenz des Spotify-Algorithmus und sammelt sehr detaillierte Informationen über dein gesamtes Verhalten auf der Plattform. Mit diesen Infos wird ein exaktes Profil deines Musikgeschmacks erstellt.

Jedes soziale Netzwerk kämpft um die Zeit

Das Verhalten der Nutzer zu erheben und zu analysieren, um dann ähnliche Inhalte zu empfehlen und vorherzusagen, was Du mögen wirst. Dies ist dasselbe Vorgehen, das andere soziale Netzwerke wie Instagram, YouTube, Twitter oder Facebook nutzen.

Die Ware ist dabei nicht der gebotene Inhalt, sondern die Zeit, die Du damit verbringst, die angebotenen Inhalte zu sehen. Jede soziale Plattform kämpft um deine Aufmerksamkeit – und damit um deine Zeit. Das gilt auch für Spotify, Netflix, Playstation, Xbox und Disney.

Der Bestätigungsfehler

Diese Netzwerke sind daraufhin ausgelegt, eine bestimmte menschliche Eigenheit auszunutzen. Es ist eine Tendenz, bei der wir unsere Aufmerksamkeit den Inhalten schenken, die unsere Weltanschauung oder unseren Geschmack bestätigen.

Das nennt man in der Psychologie den „Confirmation Bias“. Auf Deutsch heißt das „Bestätigungsfehler“. Recht zu haben, fühlt sich gut an, also mögen wir es.

Unsere eigene Filterblase

Nach und nach entsteht so unsere eigene Filterbubble. Also eine Informationsblase, aus der man nur schwer wieder herauskommt. In der eigenen ideologischen und geschmacklichen Blase fühlen wir uns vertraut und sicher vor Unbekanntem oder Anderen mit abweichendem Musikgeschmack. So lässt uns Spotify in unserer eigenen musikalischen Blase glücklich leben.

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Durch Datenanalyse bleibst Du in deiner musikalischen Filterblase.

Entwicklung der Songs durch Datenanalyse

Auf einer gesellschaftlichen Ebene bedeutet das folgendes. Die eben beschriebene Entwicklung der eigenen Filterbubble sorgt auf breiter Basis für eine kulturelle Blase. Die verleitet die ganze Menschheit dazu, in ihrer eigenen Komfortzone zu verharren.

Das Verbraucherverhalten wird analysiert

Der Schlüssel für diese Entwicklung ist die Datenanalyse. Viel Geld und Ressourcen werden von Plattenfirmen in eine gute Datenanalyse investiert. Das passiert auch beim Baseball, Fußball oder in der Politik.

De Daten werden von Unternehmen wie Asaii oder Sodatone analysiert. So werden Millionen von Künstlern in Bezug auf das Verbraucherverhalten verfolgt. Diese empirische Analyse unserer Statistiken wird genutzt, um die zukünftigen Stars vorherzusagen.

Musiker als Leistungssportler?

Aber bedeutet das dann, dass wir das Musikbusiness mit seinen Musikern nicht mehr als Künstler sehen dürfen, sondern als Leistungssportler? In gewisser Weise ja, denn sie sind sozusagen Leistungsmusiker, deren Performance und deren Wert an unserem Konsumverhalten gemessen wird.

Das war schon immer so: Welcher Musiker mehr verkaufte, war der „King of Pop“ oder der nächste „Shooting Star“. Der Unterschied zu heute besteht darin, dass wir mithilfe von Playlists und den Daten von Spotify & Co. diese Künstler vorhersagen können.

Alles für die Datenanalyse

Die Zukunft ist vorprogrammiert: Musik wird immer mehr unter der Berücksichtigung der Datenanalyse komponiert werden. Die produzierten Songs sind darauf ausgelegt, deine Aufmerksamkeit zu erregen. Dazu müssen sie vertraut und einfach genug sein, damit Du sie anhörst.

Langeweile darf auf keinen Fall entstehen, denn die Songs sollen dein Gehirn mit Dopamin überfluten. Außerdem sollen die Songs dafür sorgen, dass Du in deiner Komfortzone bleibst. Denn die ist sehr lukrativ für die Macher der Inhalte oder der Plattformen, auf denen sie bereitgestellt werden.

Der Ausblick der Musik

Der beste Faktor für die Vorhersage unseres Musikgeschmacks ist unsere Vertrautheit mit einer gewissen Art von Musik. Dabei wird vertraute oder einfache Musik nicht als trivial oder langweilig wahrgenommen, komplexe oder ungewohnte Musik nicht als schwer verdaulich. Es ist also nicht so wichtig, ob die Musik komplex oder einfach ist. Hauptsache, wir sind schon daran gewöhnt.

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Werden die Songs wieder für den Musikliebhaber geschrieben? Oder geht es nur um Gewinne?

Es geht um Gewinne und Profite

Etwa 70 Prozent aller gehörten Musik ist im Besitz von nur drei Unternehmen:

  • Universal Music Group
  • Warner Music Group
  • Sony Entertainment

Diese drei Unternehmen besitzen aber weniger als ein Prozent aller neuen Musik, die jedes Jahr neu herauskommt. Die Daten der Streaming-Dienste damit werden aktuell dazu genutzt, Gewinne zu optimieren und Profite zu maximieren.

Dieses Wissen könnte man aber auch dazu einsetzen, innovative Künstler zu finden. Mit einer Promotion könnten diese Entdeckungen die Musik voranbringen. Auch durch die heutige Technologie wäre es sehr einfach, neue kulturelle Trends aufzuspüren.

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Was bleibt?

Diese Idee der innovativen Künstler wäre allerdings nicht so lukrativ für die großen Künstler und Labels. Deshalb wird sie wahrscheinlich nicht umgesetzt. Die Art von Musik bleibt, die uns unsere Vorlieben immer wieder vorspielt: eingängige, unterhaltsame Songs.

Eigentlich ist es aber die Aufgabe eines Künstlers, dem Publikum das zu geben, was es braucht. Und nicht, was es will. Auch dann, wenn das Publikum noch nicht weiß, was das sein könnte?

Kunst und Musik für Kommerz und Geld? Oder für die Musikliebhaber und den Konsumenten? Wir lassen diese Frage offen. Und bleiben gespannt, was die Zukunft noch bringen wird und welche Songs noch kommen werden.

Lies hier: Selbstvermarktung für Künstler

Lesermeinungen (3)

zu 'Digitale Musikindustrie: Empfehlung oder schon Manipulation?'

  • robotron sömmerda   28. Jun 2021   20:34 UhrAntworten

    Sorry, aber dieses momentan rotierene 30-Sekunden-Bashing haben die Plattenfirmen nach dem Radio auch beim Streaming durchgedrückt. Die Plattenfirmen bieten mundgerechtes Gedudel für die Zeit, in dene keine Werbung läuft. Im Idealfall mit Songs, die auch gleichzeitig für Werbung genutzt werden.

  • Der Odenwälder   29. Jun 2021   11:05 UhrAntworten

    Ich höre schon lange keine sog „Charts“ mehr. Für mich klingt das meiste sehr ähnlich und austauschbar. Eine plausible und gute Erklärung haben Sie ja im Artikel überzeugend dargelegt. Danke dafür!.
    Ich mag diesen Einheitsbrei von heute nicht und stehe auf für mich gute Musik.
    Diese zeichnet sich aus durch Kreativität und den Mut, auch mal neue Wege zu wagen.
    Musikalische Eigenständigkeit mit individuellem Wiedererkennungswert sind das Ergebnis. Klingt ein Song wie der andere, ist das für mich wie „Abschreiben“.
    Das ist für mich keine musikalische Leistung, damit hat auch der Interpret als Musiker „versagt“.
    Das mag aber auch daran liegen, dass ich Ü60 bin. Zu old school für heute.
    Ich toleriere den Geschmack anderer durchaus und freue mich für diejenigen, denen so was gefällt. Hoch lebe die Vielfalt! Ich höre mir das aber nicht an. Ist meine Entscheidung im Rahmen der Toleranz der Vielfalt.

  • Chris   29. Jun 2021   14:58 UhrAntworten

    "Wenn Du dir aber in denselben zehn Minuten einen zweiminütigen Song fünf Mal anhörst, zählt der Algorithmus schon fünf Plays."

    Nein, das zählt nur einmal a) für die Statistik und b) für die Vergütung.

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