»Der Preis der Anna-Lena Schnabel« – Fernsehen zensiert Musik?

Anna-Lena Schnabel

Saxophonistin Anna-Lena Schnabel. | Bildausschnitt © Steven Haberland und Scott Friedlander

anzeige

Dokumentarfilm über Anna-Lena Schnabel

Anstoß des Zorns liefert ein Dokumentarfilm von Jan Bäumers, der die Saxophonistin im Hintergrund der Verleihungszeremonie porträtiert und aufzeigt, wie es in Wirklichkeit gestellt ist, um den Sendeauftrag der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten.

Der Film, welcher von 3sat ausgestrahlt wurde und hier abgerufen werden kann, steigt einen Tag vor Beginn der Verleihungen des »ECHO Jazz«, einem Preis, der einmal im Jahr von der deutschen Musikindustrie verliehen wird, ein: für die Verleihungszeremonie wurde eigens ein Werftabschnitt im Gebiet des Hamburger Hafens hergerichtet. Roter Teppich inklusive.

Augenscheinlich wirkt alles wie eine freudige Feierlichkeit zu Ehren der Musiker. Hintergründig wird dem Zuschauer jedoch ziemlich schnell bewusst gemacht, worum es tatsächlich geht. Anna-Lena Schnabel, Preisträgerin, ist es nicht gestattet, ihre eigene Musik zu spielen. Stattdessen wird auf ein Stück zurückgegriffen, welches sich zwar – von ihr gespielt – auf ihrem Album befindet, aber nicht von ihr stammt. Der NDR hat entschieden, dass ihre eigenen Stücke nicht allgemein verträglich genug sind, man sogar befürchte, die Leute könnten das Programm wechseln.

Kritik am öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Journalist Ulrich Stock formuliert es in seinem äußerst lesenswerten Text »Was der NDR glaubt, nicht senden zu können« auf »Zeit Online« ganz trefflich. Von der »Verlogenheit des Fernsehens« spricht er. Und weiter führt er aus: »Der Preis der Anna-Lena Schnabel, das ist nicht nur der Preis, den sie bekommt, sondern auch der, den sie zahlt, wenn sie sich auf die unwürdige Show einlässt.«

Im Rahmen des »ECHO Jazz« darf sie einen Preis entgegen nehmen, aber nicht zu ihrer Kunst stehen. Zusehends zwiegespalten beschreitet sie den Grad zwischen ihrer Authentizität und den offensichtlich wirtschaftlichen Intentionen einer solchen Preisverleihung. Ganz nebenbei: ein Preisgeld gibt es nicht. Im Gegenteil: die Hotelübernachtung wird von ihr persönlich vorgestreckt, die Veranstalter zahlen keinen Cent. Das Geld bekommt sie im Nachhinein von ihrem Label »Enja« zurückerstattet.

Alles, was die Musikerin an Positivem aus dieser Veranstaltung ziehen kann, ist ein Fernsehauftritt und der Echo-2017-Sticker, der künftig ihr Album-Cover zieren darf. Ob das die Verkaufszahlen ankurbeln wird? Die Branche scheint sich auf Kosten der Musiker zusehends selbst zu feiern.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Trauriger Höhepunkt

Im Verlauf der 45-minütigen Dokumentation wird ein Ausschnitt eines Interviews gezeigt. Eine NDR-Journalistin stellt der Preisträgerin Fragen, die sie sichtlich irritieren: »Was hören wir denn heute Abend?«, lautet eine der Fragen. Anna-Lena Schnabels Antwort: »Leider kein Stück von mir, das hat mir der NDR verboten.« Die Reaktion der NDR-Journalistin lässt keine Fragen offen: »Das können wir leider nicht rein nehmen morgen.« Zu unverblümt äußert Anna-Lena Schnabel ihren Unmut. »Das wundert mich nicht«, entgegnet sie der Dame vom NDR.

Auch wenn Jazz eine deutlich verkopftere Form der Musik darstellt, sollte es doch zumindest das öffentlich-rechtliche Fernsehen als seinen Auftrag ansehen, Künstlern, wie Anna-Lena Schnabel, im Rahmen einer Preisverleihung eine angemessene Bühne zu bieten. Jan Bäumers hat mit seinem Film ein wichtiges Dokument geschaffen, das belegt, wie selbst große Könner eines Fachs vor wirtschaftliche Interessen gestellt und ihrer eigenen Ohnmacht überlassen werden.

Programmleiter äußert sich

Mittlerweile äußerte sich Thomas Schreiber, Leiter des Programmbereichs Fiktion und Unterhaltung des Senders, gegenüber »Bild Online« und möchte demnach von einem Verbot nichts wissen. Er gibt gegenüber dem Medium an: »Der Vorschlag für diesen Titel und zwei Alternativen war von Frau Schnabels Tour-Management gekommen. Am 4. Mai 2017 teilte Frau Schnabel zu der Auswahl des Titels »Peace« schrfitlich mit: ‘Das ist alles von meiner Seite gar kein Problem.’ Uns macht betroffen und entsetzt, dass Frau Schnabel die Entscheidung gegen eines der anderen Stücke als Verbot bezeichnet hat.«

An dieser Stelle sei noch einmal eine absolute Film-Empfehlung ausgesprochen. Die Doku ist, wie üblich, ab sofort noch ein Jahr in der 3sat-Mediathek verfügbar.

Lesermeinungen (10)

zu '»Der Preis der Anna-Lena Schnabel« – Fernsehen zensiert Musik?'

  • Baghira   23. Okt 2017   08:16 UhrAntworten

    Habe gerade das kleine Video gesehen. Mein Fazit: Dass der NDR ein Stück der Saxophonistin nicht sendet, ist schofelig, zumal der Sender ja nicht wirtschaftlich auf Quote angewiesen ist. Aber ich gebe zu: Es fällt mir schwer, das, was ich höre, als Musik wahrzunehmen. Es schmerzt...

  • Rene Heidrich   23. Okt 2017   09:24 UhrAntworten

    Ja. Habe das im TV auf 3sat gesehen. In der Doku..
    Da kann man mal sehen was diese Preise wert sind.
    Nämlich einen Dreck!!
    Wenn irgendwelche TV Produzenten vorschreiben was gut ist und was nicht!

  • Jan Gerhard   23. Okt 2017   09:40 UhrAntworten

    Die ÖR haben einen Sendeauftrag, der sich gerade NICHT nach Quote richten soll. Dies können die Sender dank der GEZ Finanzierung auch wahrnehmen - eigentlich. In der Praxis scheint aber das genaue Gegenteil stattzufinden. Menschen wie Tom Burow werden als Intendant eingesetzt und dieser holt besetzt Valerie Weber, die vom quotengetriebenen Privatradio kommt) als Senderchefin ein...

  • Philipp M. Jost   23. Okt 2017   09:42 UhrAntworten

    warum vergeben sie den "preis" dann nicht von anfang an einen quotengaranten? oder lassen den scheiss gleich ganz bleiben und machen einfach totp...

  • Sven-Eric Ruprecht   23. Okt 2017   12:42 UhrAntworten

    Ich behaupte, das es wie in allen andren Branchen in denen es Preisverleihungen gibt, nicht anders zugeht, egal ob Oscar, Goldene Palme und wie sie alle heißen.
    Wenn man sich mal manche Filme ansieht, die einen Oscar erhalten haben, bekomme ich noch mehr graue Haare.
    Oder schaut mal manche Bücher die auf Bestseller Listen sind, da fasst du dir dann an den Kopf.

  • veldrijder   26. Okt 2017   18:39 UhrAntworten

    Nach dem Anschauen des Berichts ist klar dass es solche Preise nur gibt damit sich die "Wichtigen" und "Schönen" bei Champagner und Häppchen sehen und gesehen werden.
    Die einzigen Autentischen und Natürlichen waren die Preisträgerin und ihre MitmusikerInnen.

  • Hansi   27. Okt 2017   12:04 UhrAntworten

    Scheinheilig und Arrogant sind die Macher schon lange. Wer einen Jazz Preis bekommt sollte auch das spielen dürfen was sie/er will. Völlig egal ob das Stück gefällt oder nicht.
    Am besten solche Preise einfach ablehnen, sie dienen eigentlich nur der Beweihräucherung der Banche. Hatte mal die Ehre bei einer Echopreisverleihung dabei zu sein. Einfach nur grusselig.

  • Hansi   27. Okt 2017   12:47 UhrAntworten

    Unbedingt das Video auf 3 sat anschauen. Der Typ von der Industrie ein Typisch arrogantes A:::::::: der von Kunst und Jazz keinerlei Ahnung hat. Warum wird dieser Preis an Künstler vergeben die nicht Industriekonform sind. Es gibt doch genug Kriecher, ja auch Jazzmusiker die diesen Preis gerne annehmen, nur deren Musik ist dann auch sowas von weichgespült. Namen will ich nicht nennen kann jeder selber rausfinden wer den Preis so bekommen hat.

  • hansi   27. Okt 2017   18:10 UhrAntworten

    Noch einmal zur Sache. Ich denke übrigens, daß die Hauptschuld dieser Situation bei der Industrie liegt denen es in erster Linie auf den Kommerz ankommt. Es ist doch für einen solchen Verband geradezu lächerlich wenn es um 200000€ Kosten geht. Bei denen dann noch nicht einmal das Hotel und die Fahrtkosten für die Musiker bezahlt wird, jedoch der NDR kostenlose Werbung macht.Da dieser selbst seine Produktions-kosten bezahlt.Von der Industrie wird der andere Aufwand wie Licht, Saal und roter Teppich sowie der freie Eintritt für die Promis und die die nichts oder nur wenig mit der eigentlichen Sache zu tun haben bezahlt. Denn es geht nicht um die Musiker und deren Musik. Nur da man mit dem Jazz keine Kohle scheffeln kann aber gerne so tut wie wenn man ja alle Musik fördert wird ein solcher Alibi Echo vergeben.
    Die Klassik ist auch nicht gerade ein Umsatzträger derzeit bei ca. 3,5%. und seit Jahren rückläufig.Jazz angeblich bei knapp 2% Nur, daß beim streaming, derzeit auf der Überholspur, eher Jazz als Klassik gestreamt wird.

  • Claudio   30. Okt 2017   14:15 UhrAntworten

    Alexander Schölzel hat einen tollen und kritisch betrachtenden Abriss geliefert und auch die Kommentatoren haben sympathische Inputs geliefert. Ich schliesse mich dem an.
    Musik ist leider viel zu sehr ein Standard-Konsumgut geworden und der Interpret wird nur selten ernstgenommen. Nicht mitmachen oder knallhart bei sich selbst bleiben, scheint mir der einzig ehrliche Weg, weil: GUTE Musik wird sich immer durchsetzen, bei vielen oder bei wenigen Hörern, so oder so...

Sag uns deine Meinung!

anzeige

Empfehlungen