Was ist Gain Staging?
Pegelmanagement in einfachen Worten
Inhalt
1. Gain Staging – was ist es und wozu dient es?
Dieses Verfahren beschreibt das Pegelmanagement aller Kanäle über den gesamten Prozess des Abmischens hinweg. Es geht darum, jede Spur mit einem jeweils angemessenen Pegel (Details dazu in Abschnitt 2) von einer Ebene zur nächsten zu leiten.
So beschreiten wir den Pfad von der Einzelspur (und darin eingekapselt auch zwischen einzelnen Effekt-Plugins) möglicherweise über einen Bus bis hin zur Master-Spur als Sammelbecken aller Einzelkanäle bzw. Busse.
Was ist der hauptsächliche Nutzen? Ein besserer Klang und genug Pegelreserven. Hier sind die Vorteile im Einzelnen:
Passend dazu
- Noiseworks GainAim Test: Automatisierter Pegel leicht gemacht
- Richtig einpegeln bei der Aufnahme: Expertentipps für dein Recording
- 5 Schritte zu besser klingenden Drums
- Headroom: Alles zur Aussteuerungsreserve
- Was ist Clipping?
Vorteile durch Gain Staging:
- Allgemein ein besseres, sauberer klingendes Endergebnis
- Spuren hinzufügen ohne Sorge um den Gesamtpegel
- Fader von Einzelspuren anheben ohne Sorge um den Gesamtpegel
- Effekte nutzen ohne Sorge um den Gesamtpegel
- Die optimale klangliche Wirkung einiger Plugins entfalten lassen
- Eine saubere Grundlage für das anschließende Mastering schaffen
Gleich vorweg: Die leiseren Mischungen, die durch das Gain Staging entstehen, kannst Du einfach mit stärker aufgedrehten Lautsprechern und Kopfhörern abhören. Nur keine Scheu. :)
2. Wie hoch sollte der Pegel sein?
Was ist beim Gain Staging mit einem »angemessen« Pegel gemeint? Zunächst sollten zwei wichtige Grundsätze stets befolgt werden:
Ein hoher Signal-Rausch-Abstand ist wichtig, der gewünschte Klang (quasi das »Nutzsignal«) sollte das Hintergrundrauschen also stets deutlich überdecken. Das ist mit fast jedem Equipment möglich, selbst bei relativ niedrigen Pegeln.
Auch bei der Aufnahme von Instrumenten und Mikrofonen musst Du nicht so pingelig sein, stets haarscharf unter der Übersteuerungsgrenze von 0 dBFS zu bleiben – spätestens beim Recording mit 24 Bit ist mit Pegeln zwischen -20 und -10 dBFS immer noch ein sehr hoher Signal-Rausch-Abstand gegeben.
Andererseits sollte genug Headroom (»Luft nach oben«) gelassen werden. So treten keine Übersteuerungen auf bei…
- der Summierung von Einzelkanälen auf einem Bus/der Master-Spur,
- Effekten, die den Pegel erhöhen sowie
- der Konvertierung des exportierten Musikstückes in Formate wie MP3.
In der Regel sind -10 dBFS als Pegelmaximum für die Einzelspuren ein guter Richtwert; gelegentliche Überschreitungen sind natürlich nicht dramatisch.
2.1. Übersteuerung – analog vs. digital
Bei analogem Equipment ist noch sehr viel Headroom gegeben, wenn die Pegelnadel des VU-Meters in den roten Bereich über ±0 dBVU schnellt. Über dem Nullpunkt hast Du meist noch einen Spielraum von rund 20 dB.
Und selbst wenn die Nadel (fast) bis zum Maximum ausschlägt, tritt in der Regel eine angenehme, »musikalisch« klingende Sättigung auf.
Dafür verantwortlich zeichnet das sogenannte »soft clipping« – ganz im Gegensatz zur digitalen Domäne, wo alle Informationen über 0 dBFS gnadenlos abgeschnitten werden (»hard clipping«).
Die harschen Verzerrungen, die hierbei entstehen, klingen sehr selten musikalisch und sind in der Regel unerwünscht.
2.2. Welcher Pegel wird eigentlich gemessen?
Zunächst musst Du in Erfahrung bringen, WAS die Pegelanzeigen deiner DAW-Mixerkanäle eigentlich darstellen bzw. inwieweit sie sich konfigurieren lassen. Womöglich zeigen sie nur den Pegel des Eingangssignals (vor den Insert-Effekten) und/oder das Signal vor der Beeinflussung durch den Pan-Regler.
Was wir zum Gain Staging brauchen, ist jedoch Folgendes:
Pegel NACH allen Insert-Effekten, NACH dem Pan-Regler und NACH der Beeinflussung durch den Fader der Mixerspur (»Post-Fader«)
Das dürfte bei den meisten DAWs die normale bzw. einzig verfügbare Anzeigeart sein, aber überprüfe das lieber in der Bedienungsanleitung.
3. Pegel zwischen seriell verschalteten Plugins
Obacht bei Insert-Effekten auf einer einzelnen Mixerspur. Dort liegt natürlich auch bei jedem Übergang von Plugin zu Plugin ein bestimmter Pegel an…schon wenn es sich nur um ein einziges virtuelles Instrument und dann einen einzigen Insert-Effekt handelt, kann der »Zwischenpegel« von hoher Bedeutung sein.
Der Fader einer Mixerspur kontrolliert in der Regel aber nur deren Ein- oder Ausgangspegel (siehe voriges Kapitel). So ist bei vielen Plugins ein erheblicher Aufwand nötig, um die erwähnten Zwischenpegel nicht übersteuern zu lassen oder so zu justieren, dass das jeweils nachfolgende Plugin wie gewünscht funktioniert.
3.1. Output einzelner Plugins überwachen
Zunächst schauen wir uns aber an, wie man die Zwischenpegel überhaupt messen kann:
- Interne Pegelanzeige eines Plugins
- Pegelanzeige der Mixerspur nach zwischenzeitlicher Deaktivierung aller nachfolgenden Insert-Effekte
- Plugins zur Pegelmessung – z.B. Sonalksis Free-G
Ableton Live ist meines Wissens die einzige DAW mit kleinen Pegelanzeigen zwischen den einzelnen Insert-Effekten. Prinzipiell ein großartiges Feature, doch die Balken sind leider so winzig und unbeschriftet, dass ein akkurates Gain Staging unmöglich oder zumindest sehr schwer wird – immerhin!
3.2. Pegelregelung für einzelne Plugins
Um den Ausgangspegel eines einzelnen Plugins anzupassen, eignet sich ein gegebenenfalls darin vorhandener Output-Regler. Doch längst nicht alle Plugins bieten einen solchen, was auch für die alternative Lösung (Input-Regler beim nachfolgenden Plugin) gilt. Hier schafft ein Plugin wie das oben verlinkte Sonalksis Free-G Abhilfe, wenn es in die Zwischenräume aller Insert-Effekte eingefügt wird – es bietet einen Pegelmesser, einen Fader und mehr.
Übrigens sind einige Plugins ohnehin für Eingangssignale mit recht niedrigen Pegeln ausgelegt, sonst klingen sie verzerrt oder sonstig unerwünscht. Das gilt besonders für Effekte, die analoges Equipment nachbilden.
4. Pegel mehrerer Spuren gleichzeitig regulieren
Hast Du schon ein gut ausbalanciertes Verhältnis der Einzelspurenlautstärken geschaffen, wobei die Pegel der lautesten Spuren aber höher sind als die empfohlenen -10 dBFS? Dann gilt es, eine der im Folgenden geschilderten Verfahren anzuwenden:
Variante I:
Selektiere alle Einzelspuren + ggf. alle Busse; meist funktioniert das per Umschalttaste (Shift), alternativ mit Strg bzw. Apfel-Taste beim Mac zum An-/Abwählen einzelner Spuren zu deiner Mehrfachselektion. Die genaue Bedienweise erfährst Du im Handbuch deiner DAW. Schiebe nun den Fader einer beliebigen selektierten Spur nach unten. Dabei bewegen sich auch alle anderen Fader nach unten – das geschieht zwar mit jeweils denselben Dezibelwerten, durch die logarithmische Skala aber dennoch im korrekten Verhältnis zueinander, so dass die Lautstärkeproportion gewahrt bleibt. Wenn das in deiner DAW nicht funktioniert, wendest Du die nächste Variante an…
Variante II:
Lege eine Spurengruppe an, die alle Einzelspuren + ggf. alle Busse beinhaltet. Auch hier hilft natürlich das Handbuch deiner DAW weiter. Eventuell besteht schon eine dynamische Gruppe, die alle Spuren in sich vereint – nutze diese. Wie bei Methode I genügt es nun, einen Fader von einer beliebigen Spur in der Gruppe zu verschieben.
5. Pegelanzeige konfigurieren
Bei einigen DAWs sind die Schwellenwerte für die unterschiedlichen Farbgebungen der Pegelbalken anpassbar – perfekt für Gain Staging aus dem Augenwinkel.
Bei Cubase können etwa neben den Farben sogar die Farbverläufe angepasst werden, falls gewünscht. Im Beispiel rechts sondert unsere Pegelanzeige schon bei Werten über -10 dBFS eine grellrote Warnfarbe ab, während alles zwischen -18 und -10 dBFS (wie eingangs geschildert unser Bereich der Wahl für das Gain Staging) gelb visualisiert wird:
Bei einer solchen Konfiguration sollten sich also die lautesten Kanäle deines Mixdowns hauptsächlich im gelben Bereich tummeln oder zumindest sporadisch in diese vorstoßen.
6. Aber meine Musik soll laut klingen!
Keine Sorge, ein konservativ eingepegelter Mix kann am Ende der Signalkette ja immer noch a) in der Gesamtlautstärke angehoben und b) per Limiter & Co. in der Lautheit verstärkt werden. Der Knackpunkt ist ja gerade, dass ein vernünftiges Gain Staging die nötigen Pegelreserven und damit die Grundlage für den finalen Boost schafft!
Es gibt übrigens noch eine Menge anderer Tricks für mehr Lautheit:
Mixing Tutorial: Den Mix lauter machen in 10 Schritten »
Zusammenfassung: Gain Staging
- Lass deine Spuren in der Regel nicht über -10 dBFS hinausschießen
- »Zwischenpegel« seriell verschalteter Plugins einer Spur beachten
- Mehrfachselektionen oder Gruppen zur proportionalen Lautstärkeregelung
- Benutzerdefinierte Dezibelwerte vereinfachen die Pegelüberwachung
- Studiomonitore oder Kopfhörer stärker aufdrehen, wenn’s zu leise ist!
Hast Du noch Tipps zum Gain Staging? Wir sind gespannt auf dein Feedback und wünschen indes viel Vergnügen!
zu 'Was ist Gain Staging?: Pegelmanagement in einfachen Worten'
Marc 09. Sep 2015 09:42 Uhr
Kann der Pegel beim Gain-Staging auch zu gering sein bzw. wirkt sich ein zu geringer Pegel im Master-Bus negativ auf den Gesamtmix oder auf die Plugins aus?
Ich hatte gerade mal bei einem fertigen Song, am Master Fader die Anzeige von Post Panner Anzeige auf Eingangs-Anzeige gestellt und es werden dann nur noch ca. -20db angezeigt.
Also wären meine Kanäle und Gruppen eher zu leise?
Felix Baarß (delamar) 09. Sep 2015 09:56 Uhr
Hallo Marc,
Generell lässt sich sagen, dass die meisten Dynamikeffekte (Kompressoren, Limiter, Gates etc.) - ob nun auf dem Master-Bus oder nicht - nach einem gewissen Schwellenwert (»Threshold«) arbeiten. Wenn der Eingangspegel zu niedrig ist und dieser Schwellenwert nicht erreicht wird, kann es sein, dass sich der gewünschte Effekt nicht einstellt. Es sei denn, der jeweilige Dynamikeffekt ist ohnehin nur als Absicherung gegen zu impulsive Pegelspitzen gedacht.
-20 dB klingen in deinem Beispiel ungewöhnlich niedrig. Wenn wie im Artikel beschrieben deine lauteste Einzelspur so um die -10 dB ist, kann es nur daran liegen, dass deine Insert-Effekte auf der Master-Spur eine starke Pegelreduzierung bewirken. Das wäre übrigens nicht per se schlimm (abgesehen von der niedrigen Lautheit und damit der geringen Durchsetzungskraft gegenüber den meisten anderen Stücken von anderen Produzenten). Ich nehme mal an, dass Du deinen Master-Fader auch nicht angerührt hast und er auf +/-0 steht.
Letztendlich ist auch nichts in Stein gemeißelt. Wenn es gut klingt, klingt es gut. Und da können deine Einzelspuren auch mal über -10 dB gefahren werden.
Ansonsten ist es jetzt schwer, eine Ferndiagnose zu stellen, sorry.
Gruß,
Felix
Marc 09. Sep 2015 10:49 Uhr
Danke für die schnelle Antwort!
Ich habe das jetzt noch einmal kontrolliert und festgestellt, dass die Einzelspuren schon einen Pegel von ca. -10 dB hatten, die Gruppenspuren aber wesentlich leiser gepegelt waren.
Das habe ich jetzt mal ein wenig angeglichen und komme nun auch im Master-Bus
auf einen Eingangspegel von ca. -10dB (Fader +/-0), die Gruppenspuren könnte ich auch noch weiter hochziehen.
In Zukunft werde ich die Pegelanzeigen mal etwas besser im Auge behalten.
Gruß
Marc
Wirgefuehl 09. Sep 2015 11:35 Uhr
Richtig, richtig cooles Tutorial! Vielen Dank dafür!!!
Im Grunde haben wir das intuitiv schon so gemacht, aber du hast uns definitiv noch mal in die richtige Richtung sensibilisiert. Wertvoll finde ich die Erkenntnis, die Einzelspuren ruhig etwas leiser zu lassen und dann die Summe zu boosten.
Eine Frage, da du auch Ableton Live als Beispiel nimmst: weißt du welche Pegel dort im Mixer angezeigt werden? dBu, dBV, dBFS?
Ich kann das partout nicht herausfinden..
Felix Baarß (delamar) 09. Sep 2015 11:55 Uhr
Grüß Dich, äh, Euch, ;)
dBFS - in der digitalen Domäne werden grundsätzlich alle Pegel in dBFS angegeben.
Und vielen Dank für die Blumen! :D Das regelmäßige Tutorial-Tippen macht auf jeden Fall Laune.
Gruß,
Felix
Wirgefuehl 10. Sep 2015 13:35 Uhr
Danke für die prompte Antwort!
Als Wirgefuehl sind wir zu zweit unterwegs, aber hier bei delamar tummel nur ich mich, der Sascha :)
Jay 10. Sep 2015 10:44 Uhr
Ausgezeichneter, didaktisch perfekter Artikel! Großes Lob!
Alan 10. Sep 2015 13:29 Uhr
Im Grunde wurde mit der Einleitung "wie hoch sollte der Pegel sein" bereits alles Relevante gesagt, um verzerrungsfreien sauberen Input und Output zu erhalten, mit dem sich relativ sorglos weiterarbeiten, finalisieren und mastern lässt.
Und keine Angst vor einem zu leisen Mix hinsichtlich Loudness War.
Wer Musik macht, die später in z.B. Kino, TV oder Radio landen soll, wird mit einem ausgewogenen verzerrungsfreien Mix auf besseres Gehör und Zustimmung stoßen, als mit einem maximal geboosteten Mix, die zumeist gleich in der Tonne landen, weil sie trotz limitierten/normalisierten Peak auf -0,3 dbfs einfach nur an allen Ecken und Enden klirren und scheppern, wenn sie erst einmal in entsprechende Signalkette eingespeist werden und sich niemand die Mühe macht und machen will, einen Soundtrack erst aufwändig entzerren zu sollen und das Ergebnis sich dadurch ohnehin nicht wirklich verbessert hat.
Henry 27. Aug 2021 15:30 Uhr
Absolut empfehlenswert!
Selbst etliche Jahre nach VÖ hat dieses hervorragende Tutorial nach wie vor nichts an Aktualität eingebüßt, alles wesentliche wird umfassend erklärt und genau auf den Punkt gebracht - weder zu viel noch zu wenig an Infos. Wenn man sich an diese in ihrem Umfang überschaubaren Regeln hält, führt das geradewegs zum Ziel.
Daher ein großes Lob und Dankeschön :-)
Carlos San Segundo (delamar) 27. Aug 2021 17:57 Uhr
Vielen Dank für deine netten Worte!
Patrick 02. Nov 2023 09:25 Uhr
Auch von mir: Sehr guter Artikel mit absolut goldrichtigen und immer noch aktuellen Hinweisen!