Making of
Sound Installation für KAMI
Die »Umbrella Revolution«
Im Jahre 2014 wurden die Proteste in Hongkong weltweit unter dem Titel »Umbrella Revolution« bekannt. Die Bevölkerung demonstrierte gegen einen Beschluss der Regierung, der freie Wahlen in Bezug auf den Hongkonger Verwaltungschef verhinderte.
Die Demonstranten nutzten ihre Regenschirme, um sich vor dem Pfefferspray der Einsatzkräfte zu schützen. Dies schien ein pragmatischer Einfall – allerdings lehnten die Demonstranten die Bezeichnung »Revolution« ab. Der Titel »Umbrella Revolution« kam erst durch die Medien auf, die durch die Verbreitung der immer gleichen Bildmotive eine Ikone schufen.
Sven kam auf mich zu und erzählte mir von seiner Idee, die KAMI-Serie zu gestalten. Ich war von Anfang an angetan von der Thematik und den ersten Entwürfen. Für mich lag es nahe, dass eine akustische Aufarbeitung das Erleben der Ausstellung intensiver und realitätsnah erfahrbar machen würde.
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Was gibt es zu hören?
Bei KAMI setze ich mich akustisch mit den Themen »Demonstrationen«, »Reizgas« und »Barrikaden« auseinander. Speziell dafür habe ich die Sound-Installation »Tear Gas« kreiert. Diese wird die Kunstwerke akustisch und räumlich erweitern.
Allen Sound-Interessierten möchte ich heute einen Einblick geben, wie ich die Klänge konzipiert und produziert habe.
Mein Hintergrund als Sounddesigner
Im Medium Film bewege ich mich schon seit ein paar Jahren als Tongestalter. Unter anderem habe zusammen mit Sebastian Linda an »Life is a Dance« gearbeitet. Sebastian hat schon zahlreiche Menschen digital und analog mit seinen Skateboard-Filmen berührt.
Zusammenarbeit mit Sven Sauer
Durch Sebastian Linda habe ich den Künstler Sven Sauer kennengelernt. Angefangen hat er als Matte-Painter. Er zeichnet digital ganze Landschaften: Städte, Burgen, Welten. Gearbeitet hat er schon an vielen »Game-Of-Thrones«-Staffeln, Lars-von-Trier-Filmen und an »Hugo Cabret«, der einen Oscar für die besten visuellen Effekte erhielt.
Heute macht Sven Kunstshows. Er konzipiert immersive Ausstellungen, bei der sich der Betrachter intensiv mit der Kunst auseinandersetzt. Bei »360 Minutes Art« wurde Kunst, begrenzt auf sechs Stunden, ausgestellt. Alle Werke, die in dieser Zeit nicht verkauft wurden, landeten im Feuer und wurden vernichtet.
Bei der »The Dark Rooms Exhibition Berlin« im letzten Jahr gestalteten elf Künstler eine Ausstellung in kompletter Dunkelheit. So lag der Focus ausschließlich auf der Kunst. Die Betrachter setzten sich so intensiver mit ihr auseinander, als beim klassischen »White-Cube«-Prinzip. Zusammen mit Sven und seinem Künstler-Kollegen Igor Posavec (Sa-Po) gestalteten wir eine audiovisuelle Installation innerhalb der Dark Rooms. Wir bedienten uns mehrerer Sinnesebenen, um ein Raumgefühl zu schaffen, in das der Betrachter hineingezogen wird.
Erste Ideen zur Sound-Installation bei KAMI
Meine Idee war, das Reizgas und das Gefühl, davon umgeben zu sein, fühlbar zu machen. Der Betrachter sollte in die Barrikaden versetzt werden, das Gefühl haben inmitten der grauen Masse des Gases zu stehen und somit der Hilflosigkeit und Bedrückung ausgesetzt zu sein.
Gleichzeitig wollte ich hörbar machen, wie es sich anfühlt, eine Gasmaske auf dem Kopf zu haben und nur den eigenen Atem zu hören. Bei der Recherche zur »Umbrella Revolution« finden sich im Netz zahlreiche Bilder verschiedenster Gasmasken. Durch diese Inspiration entstand die Idee, das menschliche Atmen in eine grau klingende Fläche zu verwandeln, die das Reizgas illustriert.
Geprägt aus dem Filmbereich, war es für mich ebenfalls spannend, echte Aufnahmen aus den Demonstrationen mit in die Installation einzubeziehen. Diese schimmern manchmal durch die bedrohliche graue Fläche hindurch. Dezent und entfremdet. Ich habe auf YouTube und anderen Videoportalen nach Aufnahmen der Ereignisse in Hongkong gesucht und den originalen Ton aus den Mitschnitten für meine Installation verwendet.
Sound »Tear Gas«
Das Ergebnis ist raumfüllend und bedrohlich. Ein tiefes Pad, das anstrengend, massiv aber gleichzeitig organisch ist:
Der Sound bietet einen Kontrast zu den bunten Regenschirmen, die in die Rauminstallation integriert sind.
Nachdem man sich durch die Barrikaden »gekämpft« hat, erscheinen die KAMIs in ihrer vollen, gottesgleichen Pracht. Sie wirken erlösend und heben sich aus der grauen Masse des Reizgases hervor.
»Kami« sind im Shintoismus bestimmte Götter oder Geister, die verehrt werden. Der Begriff wird in der Ausstellung umgedeutet und auf die Demonstranten bezogen, die durch die Berichterstattung zu medialen Ikonen wurden.
Diese mediale Darstellung der Demonstranten wollte ich ebenfalls akustisch aufbereiten. Dafür entstand eine weitere Klangfläche, die verzaubert und in gewisser Weise auch Hoffnung gibt.
Umsetzung der Ideen
Für die Umsetzung meiner Sound-Installationen habe ich mit Ableton Live gearbeitet. Ich nutze die Software sehr intensiv, um Musik zu machen, aber auch für Tongestaltung. Vor allem der Sampler ist für mich ein essentielles Werkzeug, wenn es darum geht, Originalaufnahmen zu bearbeiten und zu verfremden.
Als Grundlage für meine Arbeit diente das menschliche Atmen. Ich nutze echte Atem-Aufnahmen, um diese anschließend weiter zu bearbeiten. Danke an der Stelle an Lucas Görlach, dass er immer dabei ist, wenn es um Sound-Experimente geht und zahlreich ein- und ausatmen musste.
Sound »Breath«
Hier hörst Du die originale, unbearbeitete Aufnahme:
Nach der Aufnahme nutzte ich den Sampler, um aus den kurzen Atemzügen eine lange Fläche zu formen. Durch eine lange Einschwingphase und verschiedene Ausklingphasen entstand ein Bett für die weitere Arbeit.
Mehr dazu: Was ist eine Hüllkurve?
Damit das Ganze noch etwas organischer wurde, nutzte ich ein Delay und Verzerrungen, um eine Bewegung entstehen zulassen. Hier der bearbeitete Sound:
Sound »Footage«
Die Originalklänge der »Umbrella Revolution« sollten ebenfalls in die Sound-Installation einfließen. Diese sind gefiltert und verfremdet. Sie treten dadurch in den Hintergrund.
Zu guter Letzt habe ich mit verschiedenen Synthesizern etwas Bass und Atmosphäre hinzugefügt.
Spectrasonics Omnisphere ist dafür einer meiner liebsten Klangerzeuger. Er hat einen lebendigen Sound. Oft nutze ich ihn, um eigene Samples komplett umzugestalten.
Umsetzung für die KAMI-Figur
Um meine Vorstellung von der heroisch wirkenden KAMI-Figur umzusetzen, diente das Atmen als Klangteppich. Meine Idee war, diesen in einen Charakter für die KAMIs zu transformieren.
Nach einer Weile kam ich auf den Gedanken, diesen Reizgas-Teppich zu harmonisieren. Mein Werkzeug dafür war GuitarRig von Native Instruments. Kombiniert mit einigen Effekten von Soundtoys entstand ein fast himmlisch wirkender Sound. Zitternd, befreiend und gleichzeitig verschleiert durch den Schleier des Reizgases. Die KAMI ragen aus diesem Schleier hervor und wirken glänzend. Visuell und auch akustisch.
Schlussgedanken
Ich hoffe, ich konnte dir einen Einblick in meine Arbeit geben. Gerade bei künstlerischen Projekten sind beim Konzept und vor allem bei der Umsetzung keine Grenzen gesetzt. Deshalb ist es wichtig, eine Richtung für sich zu finden und diese zu verfolgen.
Natürlich muss auch das Gesamtbild stimmig sein: Visuelles und Akustisches finden eine gemeinsame Sprache, die die künstlerische Intension überträgt. Gerade bei dieser Thematik ist das wichtig.
Informationen zur KAMI Exhibition
» KAMI – Exhibition by Sven Sauer
» Plus One
zu 'Making of: Sound Installation für KAMI'
Jay 20. Mai 2017 10:55 Uhr
Sehr geil, das - soundtechnisch wie thematisch!